Hallo Zürich!
Erfahrungsbericht zum FÜR und wider von Online-Veranstaltungen.
Lesezeit: 4 MinutenEs hat ja auch was: zu einem Vortrag anreisen, sich vorher ein bisschen schick machen (was immer man darunter versteht), Bekannte treffen und zur Begrüßung herzlich umarmen. Die Atmosphäre im Vortragsraum aufnehmen – sowohl die der Räumlichkeit selbst, als auch der Menschen in dieser Räumlichkeit. Später dann noch mit Bier oder Sekt anstoßen, über den Vortrag sprechen und vielleicht sogar noch mit den Bekannten die Lokalität wechseln und einen schönen wie erkenntnisreichen Abend verbringen. Das möchte ich gar nicht missen … bleibt mir zurzeit aber nichts anderes als Missen, wegen – ihr ahnt es schon – Corona.
Vor 3 Stunden auf Facebook geschaut, was da so läuft und dabei zufällig in der Designforschungsgruppe – in der meist gar nicht mal so viel los ist, um nicht zu sagen: so gut wie nix – und dort gelesen, dass in 1,5 Stunden ein Zoom-Vortrag läuft: „Editorial-Designer Norbert Küpper gibt in seinem Vortrag anhand von ausgewählten Beispielen aus dem «21. European Newspaper Award» einen Überblick über Trends bei Zeitungen im Print- und Online-Bereich. Außerdem zeigt er eine Auswahl von Print- und Online-Projekten, die im Laufe der Corona-Krise veröffentlicht wurden.“. Klingt doch ganz spannend, also für mich als Designerin klang das jedenfalls ganz spannend …
Erst beim Einloggen in Zoom habe ich festgestellt, dass es eine Veranstaltung ist, die eigentlich sonst in Zürich offline stattfindet. Da waren fünf Leute (später drei) in Videos zu sehen (die Moderatoren vermutlich), die sich duzten und Infos austauschten, welche arg vermuten ließen, dass die sich näher und ganz persönlich kennen: „Hallo Maike, hast du gestern noch …“.
Ich war ohne Video und Sound in Zoom eingetreten und hatte den Eindruck: Gute Entscheidung, denn hier in einen intimen Kreis einzutreten, direkt mit Video so reinzuploppen in das intime Gespräch, Verwirrung zu stiften, hmmm… Hätte dann ganz schnell meine nicht sonderlich gut ausgeprägten Smalltalk-Kompetenzen mobilisieren müssen: … ach hallo, ich bin die Moni aus Köln, im Hintergrund seht ihr … ich interessiere mich für … was war noch genau das Thema des Vortrags (?) … und ich kam fast zufällig hier vorbei, über Facebook, wie hieß noch die Facebookgruppe … ähhh …
Insgesamt gab die Zählung an: 43 Teilnehmer, also 38 stumm und Video-gesichtslos wie ich.
Nach einem sehr interessanten Vortrag habe ich dann aber dennoch für höflich befunden aus der Versenkung zumindest im Chat ein „Vielen Dank aus Köln für den interessanten Vortrag“ zu hinterlassen. Die Personen in den Videos kommunizierten weiter. „Waren hier nur Bekannte“ (oder so ähnlich), fragt einer. „Größtenteils, aber da schrieb auch gerade eine Monika Heimann aus Köln im Chat“ (oder so ähnlich). Ich überlege kurz, wenn ich von den Videogesichtern schon so direkt thematisiert werde, ob ich mich nicht einfach verflüchtigen sollte, ein Klick und raus! Auch aus Höflichkeit (oder vielleicht, weil ich das so toll fand, persönlich beachtet zu werden) schreibe ich stattdessen im Chat, dass ich zufällig über Facebook drauf gestoßen bin.
Eine der Videopersonen fordert mich auf, dass ich doch mein Video anschalten könne. Hab ich dann auch gemacht, mich mit Gesicht und Stimme kurz vorgestellt, was ich so mache und so … dann Schweigen, so richtig wusste man auch nicht, was man sich als Fremde zu erzählen hatte. Dann nochmal dies und das, nette Verabschiedung und raus*.
*Kleiner Zwischeneinschub: Ich war mit 14 mit zwei Freundinnen in England in Gastfamilien und wir hatten im Reisebus auf der Hinfahrt ein Mädel, Wroni, kennengelernt, mit der wir uns gut verstanden. Sie lud uns dann in England zu ihrer Gastfamilie ein. Die Familie war nicht da, als wir dort ankamen. Wroni musste sich noch kurz umziehen und gehieß uns, solange im Wohnzimmer der Gastfamilie Fernsehen zu schauen. Wir haben es uns gemütlich gemacht. Dann kam die Gastfamilie, fand zwei völlig fremde Mädchen, die gemütlich auf ihrem Sofa saßen, vor und mit – es geht so – Englisch versuchten, zu erklären, was sie da hin geführt hat (die Familie hat sehr cool reagiert, der Gastvater hatte was von Louis de Funès). Ich habe die Geschichte jedoch als „befremdliche Situationen des Lebens“ lebhaft in Erinnerung behalten.
Irgendwie seltsam, wenn man da als Besucherin quasi in einem fremden Wohnzimmer aufploppt, nachdem man die ganze Zeit anonym Voyeur-mäßig gelauscht und zugeschaut hat. Natürlich wäre ich für den Vortrag nicht in den 1,5 Stunden, seit ich von ihm wusste, nach Zürich gereist. Irgendwie auch hoch-spannend, dass das per Onlinemeetings auch einfach so geht, mit Leuten zu Themen, die einen gleichfalls interessieren, in einen fast schon intimen Kontakt zu kommen. Wenn man es damit vergleicht, dass man den Vortrag vielleicht als Videoaufzeichnung oder PDF im Netz gefunden und gelesen hätte, ist man hier als Zuschauerin – wenn auch nur virtuell – leibhaftig in Erscheinung getreten: „Hallo Zürich, hier ist die Moni aus Köln“, „Hallo Moni aus Köln, hier ist Zürich!“
Ich wünsche mir, dass es irgendwann wieder Veranstaltungen gibt, bei denen man körperlich anwesend ist, mit allen Sinnen die Atmosphäre der Menschen in diesem realen Raum aufnimmt und mit Ihnen Face to Face spricht. Ich wünsche mir aber auch, dass solche Online-Veranstaltungen nicht aufhören. Toll, wenn man zumindest virtuell mit Menschen in Kontakt kommt, zu denen man nicht reisen kann oder auch nicht will – wie umständlich und teuer wäre es gewesen, wenn ich tatsächlich nach Zürich gereist wäre … Am besten in Zukunft für alle Live-Veranstaltungen einen Online-Kanal, auf dem man auch entfernt nah dabei sein kann.
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