Krümel – der Feind in meinem Bett
Nein, so pingelig bin ich gar nicht und diese zickige Prinzessin auf der Erbse hab ich nie leiden können mit ihrer neurotischen Anstellerei. Trotzdem wische ich gerade angestrengt unter meinem Rücken diese kleinen pieksenden Stückchen Nichts von meinem Bettlaken. Krümel im Bett sind eine Plage!
Wie gesagt bin ich nicht pingelig, staubsauge auch eher selten, aber wenn ich es mal tu, … es ist ein Ding der Unmöglichkeit, diese kleinen Teilchen gänzlich zu vertreiben. Man saugt einen Bereich blitzblank, saugt weiter seine Bahnen … Aber kaum dreht man sich herum, liegt dort auf der blitz-spiegel-sauberen Fläche doch wieder so ein buckliges nickliges kleines Ding. Wie ist es bloß dort hin gekommen? Und wie ich es hasse! Es war doch eben noch nicht da.
Sind Krümel wohlmöglich latente Lebensformen wie die Rose von Jericho? Während letztere nur in der Regenzeit zum Leben erwachen, wird einem Krümel vermutlich Leben durch Wegschauen eingehaucht. Sie rollen dann geschwind aus einer versteckten Ecke und lassen sich mit Vorliebe auf der allerblitzblankesten Stelle nieder, die sie nur finden können, so wie sich andere Tiere gerne mal auf einer Lichtung sonnen.
Krümel sind die großen und überaus garstigen Verwandten von Staub, so etwa wie Tiger die großen Verwandten von Hauskatzen sind und auch im selben Sinne Raubtiere im Vergleich zu Schmusefellen. Mit dem Staub leben sie nicht nur in symbiotischen Gemeinschaften zusammen, sondern haben mit ihm auch die undefinierbare Substanz gemeinsam. Was unter den Begriff Staub oder Krümel fällt, kann im Grunde aus allem bestehen. Wenn es dann nur kleinste Steine sind, Kuchenkrümel oder Papierkrümel … aber der Möglichkeiten sind hier keine Grenzen gesetzt und die Ausschmückung mit allerlei Ekelhaftem überlasse ich der Fantasie des geneigten Lesers.
Nur in Ausnahmefällen stellt man bewusst Staub oder Krümel her. Das nennt sich dann aber sogleich anders, nämlich Pulver und Granulat oder Streusel. Fällt der Streusel jedoch vom Kuchen auf den Boden, verwandelt er sofort seine Identität in einen Krümel.
Der übelste Krümelstreich spielt sich aber weder im Bett noch auf dem frisch gesaugten heimischen Fußboden ab, sondern in aller Öffentlichkeit. Das schickste Outfit – und die Frisur sitzt – wird zur Farce, wenn sich unbemerkt ein Krümel zwischen Nase und Oberlippe schleicht. Ob die spätere Entdeckung vor dem Spiegel oder der mutige Hinweis des Gesprächspartners “Sie haben da was unter der Nase” peinlicher ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Wenn man glaubt, Menschen würden ihr Territorium nur vor großen Eindringlingen verteidigen müssen, liegt man falsch. Viel boshafter sind diese kleinen Feinde, die sich in vorgetäuschter Sanftheit langsam – aber brutal stetig – überall niederlassen und ihre garstig pieksenden großen Verwandten. Kein Ort ist vor ihnen sicher (es sei denn, man betreibt einen riesen Aufwand wie in Staub – und Krümel- freien Laboren). Gerade sie verdeutlichen einem die eigene Machtlosigkeit. Immer wieder führen sie einem grausam vor, wie wenig man doch Herr oder Frau über das Unkontrollierbare ist, das sein Eigenleben vehement durchsetzt, ohne dass es überhaupt lebt.
Dabei kann hier nicht die Rede davon sein, dass dieses Unkontrollierbare ein Vertreter der Natur ist, der gegen die menschlich geordnete Kultur zu Felde zieht. Krümel sind ebenso Kleinst-Abfälle von Kulturgütern, die sich jedoch von Natur-Krümeln nicht – jedenfalls nicht ohne Labor – unterscheiden lassen. Und somit sind sie Symbol für das Zerbröseln, die schleichende Vergänglichkeit der mühsam hergestellten Ordnung, der man sich weder mit energischer Kraftanstrengung, noch mit sensibler Wachsamkeit oder geistreicher Raffinesse erwehren kann.
Jetzt hab ich den Piekser unterm Rücken vom Laken gefegt, um direkt danach an der Wade ein Pieksen zu spüren. Es macht wohl keinen Sinn, der Kampf ist aussichtslos. Am besten denke ich jetzt einfach an was anderes …
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